4 | Matinéekonzert mit Picknick


Tastenzauber und viel Märchenhaftes.

Okka Mallek
Hannover, 17.06.2012

Es ist längst eine lieb gewonnene Tradition – das sommerliche Matinéekonzert mit anschließendem Picknick, das die Chopin-Gesellschaft auch in diesem Jahr wieder ausrichtete. Eine malerische Kulisse, das Schloss Hämelschenburg, wurde Schauplatz eines außergewöhnlichen Konzertes der Pianistin Claire Huangci. Die junge Künstlerin bot wie mit Zauberhänden mühelos ein höchst virtuoses Klavierprogramm, das die begeisterten Zuhörer zu stehenden Ovationen hinriss. 

Mit Mendelssohns eleganter und berauschender Fantasie fis-Moll spielte die Pianistin sich sofort in die Herzen der Zuhörer und entwickelte mit geschmeidigen Spielbewegungen und expressiver Klanggestaltung das Bild einer sehr natürlichen und unprätentiösen Künstlerpersönlichkeit. Ihre natürliche Spielweise und ihr ausgeprägter Sinn für Klangweiten überzeugten auch in Chopins „Trois Nouvelles Etudes“, die zwar nicht die Brillanz der Etüden Op. 10 und 25 aufweisen, aber durch ihre polyrhythmische Struktur durchaus musikalische und technische Herausforderungen bieten. Wie aus einem Guss fügte sich der Bolero Op. 19 mit seinem resoluten Anfangsmotiv an, gefolgt von triolischer Bewegung, in der die Pianistin ihre enorme Fingerfertigkeit und ihre offensichtliche Freude am virtuosen Spiel, in dem immer höchste Klangkultur Vorrang hatte, bewies.

Einen schönen Kontrast zu den Klängen der Hochromantik bildete Skrjabins einsätzige Sonate Nr. 5 in Fis-Dur. Sie gilt als eines der schwierigsten Werke der Klavierliteratur. Claire Huangci gestaltete es mit viel Esprit und großem Gestus. Das bewegte Anfangsmotiv, ein Prolog mit einem Trillermotiv in der tiefen Lage und aufsteigendem rasanten Accelerando gelang präzise und leitete dieses gigantische Werk mit seinem Wechsel von perkussiven Signalmotiven und lyrischen Passagen eindrucksvoll ein. 
Die sinfonischen Etüden von Robert Schumann, mit denen der zweite Konzertteil begann, sind von ergreifender Tiefe. Wie sich in dieser Komposition ein schlichtes Anfangsmotiv zu einem orchestralen Klanggebäude entwickelt, ist beeindruckend. Mit viel Feingefühl ließ Claire Huangci sich auf die unterschiedlichen Stimmungen des Werkes ein, die von melancholischer Innigkeit bis zu extrovertierter Euphorie reichen. Niemals spielte sie forciert oder vordergründig, sondern immer nuanciert und mit äußerster Kantabilität. 

Märchenhaft im wahren Wortsinn konnten die Zuhörer sich weiterhin bezaubern lassen von dem Charme und dem immensen Können der Künstlerin, die eine Klavierfassung von Tschaikowskis Dornröschensuite aus der Feder ihres Pianistenkollegen Michail Pletnev spielte. Die orchestrale Anlage, gepaart mit äußerst anspruchsvollen klaviertechnischen Raffinessen leuchte die Märchenvorlage facettrenreich aus. Claire Huangci spielte mit enormer dynamischer Vielfalt, rhythmischer Energie und faszinierender Leichtigkeit.
Mit einem Nocturne von Chopin und einer Etüde von Rachmaninoff bedankte sich die Künstlerin bei ihrem Publikum. Danach wurde ein köstliches Buffet eröffnet und beim kulinarischen Genuss konnte sich der Blick auf das beeindruckende Schloss, einem bedeutenden Bau der Renaissance, richten. Ein gelungener Sommertag, den man gern im Gedächtnis behält. 

Claire Huangci

wurde vor 21 Jahren in Rochester, New York geboren und erhielt dort mit sieben Jahren den ersten Klavierunterricht. Schon wenige Monate später wurde sie in den amerikanischen Medien als ein Wunderkind mit den „Fähigkeiten eines professionellen Pianisten“ gefeiert. 

Während ihrer Zeit als Schülerin an der Settlement Music School (1997 bis 1999) wurde Claire mit einer Reihe von Stipendien ausgezeichnet und gewann zahlreiche Wettbewerbe. Als Gewinnerin der World Piano Competition wurde sie 1999 eingeladen, bei einem Preisträgerkonzert in der Carnegie Hall aufzutreten.

2003 erhielt sie ein Vollstipendium für das Curtis Institute of Music und studierte bei Gary Graffman und Eleanor Sokoloff. In dieser Zeit begann sie, Konzerte mit zahlreichen amerikanischen Orchestern zu geben, darunter das Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch.

Nach Abschluss ihres Studiums am Curtis Institute of Music setzt Claire Huangci ihre musikalische Ausbildung momentan bei Arie Vardi und Karl-Heinz Kämmerling an der Hochschule für Musik und Theater Hannover fort. In 2007 trat sie mit Solorezitalen in München, Frankfurt, Leipzig (Gewandhaus) und Paris erstmals in Europa auf. Zudem debütierte sie mit Griegs Klavierkonzert beim China Philharmonic Orchestra in Beijing.

In der Saison 2008/2009 trat Claire als Solistin in Europa, Afrika, Asien und Amerika auf, darunter im Wiener Konzerthaus, im Mozarteum Salzburg, im Beethovenhaus Bonn und in der Carnegie Hall. Nach einem äußerst erfolgreichen Debut bei den Schwetzinger Festspielen 2009 eröffnete Claire Huangci beim Kissinger Sommer mit dem Präludium-Konzert das Festival. In die Saison 2009-10 startete die junge Pianistin mit Griegs Klavierkonzert an der Tonhalle Zürich, aufgeführt mit dem Tschaikowsky Symphony Orchestra aus Moskau unter der Leitung von Vladimir Fedosseyev. 
Im März 2009 gewann Claire den ersten Preis des 12. Internationalen Klavierwettbewerbs der Chopin-Gesellschaft Hannover.

Programm

Felix Mendelssohn BartholdyFantasie fis-moll
Alexander ScriabinSonata 5 op. 53
Frédéric ChopinTrois Nouvelles Etudes
Bolero in C-Dur op. 19
Robert SchumannSymphonische Etuden
Peter I. TschaikowskyDornröschen Suite