4 | Klavierabend

Boyang Shi, Klavier | VHV Versicherungen


Musikalische Impressionen vom Mittelalter bis zur klassischen Moderne.

Eine musikalische Zeitreise konnten Musikliebhaber am vergangenen Freitag im eindrucksvollen Foyer der VHV Hauptverwaltung erleben, denn dort veranstaltete die Chopin-Gesellschaft Hannover ein Konzert mit Boyang Shi, der Preisträgerin des hannoverschen Chopinwettbewerbs des Jahres 2013 und acht jungen Posaunisten aus der Klasse des schwedischen Musikprofessors Jonas Bylund. 

Allein der dramaturgische Ablauf war besonders, denn während des Konzertes wechselte das Publikum gemeinsam mit den Bläsern die Räumlichkeiten. Zu Beginn spielte Boyang Shi drei Klaviersonaten von Domenico Scarlatti, dessen Sonaten immer wieder Erstaunen hervorrufen, da die Brillanz und Ausdruckskraft dieser Werke auf Wirkung setzt und dennoch formal und stilistisch eine klare Struktur aufweist. Shi spielte glanzvoll, bravourös und mit äußerster Präzision. Mit der Sonate D-Dur KV 311 von Wolfgang Amadeus Mozart setzte die junge, hochtalentierte Pianistin, die an der Hochschule für Musik, Theater und Medien bei Professor Arie Vardi studiert und bereits über viele Preise verfügt, ihr Programm fort. Auch in dieser Sonate, die spielfreudig-virtuos angelegt ist, zeigte Shi enorme Fingerfertigkeit und viel Gespür für musikalische Finessen. Der langsame Mittelsatz wirkte wie ein feines lyrisches Gewebe mit liedhaftem Charakter und der Finalsatz mit seiner ausgelassenen Spielfreude glich unter den Händen dieser fabelhaften Pianistin einem virtuosen Konzertstück. Während Shi begeistert beklatscht wurde, zogen die Bläser mit ihrem Dirigenten durch den Seitengang des Saales, um sich im licht durchfluteten Atrium auf den Treppenemporen zu platzieren. 

Eine der herausragenden Frauengestalten des Mittelalters, Hildegard von Bingen, als große Mystikerin und Visionärin, Heilende und Heilige verehrt, kommt eher selten auf weltlichen Podien zu Ehren. Die Bläser improvisierten über ihren von der benediktinischen Liturgie geprägten Hymnus „O Ecclesia“. Die Verständigung zwischen den Bläsergruppen und ihrem vom Erdgeschoss aus führenden Dirigenten schien gelegentlich etwas ins Wanken zu geraten, aber dennoch waren diese heiligen mittelalterlichen Klänge ein imposantes Intermezzo. 

Einer der bedeutendsten Vertreter des frühen Barockzeitalters war Giovanni Gabrieli. Seine umfassende Sammlung mehrchöriger Motetten und Canzonen sind eng mit dem Markusdom Venedig verknüpft, wo Gabrieli als Domorganist wirkte. Seine Canzoni Prima Toni aus der Sacre Symphoniae wurde von den Bläsern beeindruckend intoniert und fast wähnte man sich im venezianischen Dom, wo diese Musik ihren Ursprung hat. 

Der englische Komponist und Musikkritiker Peter Warlock hatte eine große Vorliebe für die Musik des Mittelalters, insofern war der Sprung ins 20. Jahrhundert nicht so groß, als vier Sätze einer arrangierten Fassung seiner Capriol Suite schwungvoll den zweiten Konzertteil einleitete. 

Zum Abschluss gab es noch außergewöhnliche Klänge von Chopin. Der Trauermarsch aus der b-Moll Sonate für Klavier in einer Bearbeitung für acht Posaunen klang aus diesen tiefen Blasinstrumenten wunderschön, doch zutiefst schwermütig. Mit den 24 Preludes, die zwar im tristen Winter auf Mallorca aus Chopins Feder flossen, konnte Boyang Shi noch einmal mit romantischen virtuosen Klavierklängen glänzen. Die Vielfalt und Intensität dieser Meisterwerke, die zum Teil aus nur 16 Takten bestehen, überzeugten und begeisterten die Zuhörer, auf die zum Ausklang im Foyer ein delikates Büfett wartete.
Ein überaus gelungener Konzertabend!

Okka Mallek
Hannover, 11.05.2014


Boyang Shi 

wurde 1993 in China geboren und begann im Alter von sechs Jahren Klavier zu spielen. Bereits in ihrer frühen Kindheit zeigte sie ein gutes Gespür und außergewöhnliches Talent für Musik und gab ihr erstes Solokonzert im Alter von acht Jahren. Ihre Ausbildung erhielt sie ab 2003 am Central Conservatory of Music in Peking bei ihrem Lehrer Zhiwei Zhang. 

Seit 2010 lebt Boyang Shi in Deutschland und studiert an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, zunächst beim weltweit bekannten Pädagogen Prof. Karl -Heinz Kämmerling. Nach dessen Tod in 2012 blieb sie an der HMTMH und wechselte Sie in die Klasse von Prof. Arie Vardi. 

Shi ist Preisträgerin vieler internationaler Wettbewerbe. Im Jahr 2005 gewann sie den 2. Preis bei der 13. Hong Kong Piano Open Competition und erhielt auch das Tom Lee Scholarship. 2006 gewann sie den Sonderpreis für herausragende Leistung beim 5. Internationalen Chopin-Wettbewerb in Peking und zwei Jahre später den 1. Preis der Oberlin International Piano Competition in China. Im Jahr 2009 nahm sie an der Leeds International Piano Competition als jüngste Bewerberin teil und wurde mit dem „Second Round“ Preis ausgezeichnet. Im gleichen Jahr erwarb sie auch den 2. Preis beim Robert Schumann International Piano Competition for Young Artists und erhielt die YAMAHA Scholarship. 

In Wettbewerben und bei Meisterkursen von Paul Badura- Skoda und Matti Raekallio wurde ihr Klavierspiel von Experten aufs Höchste für seine Finesse und große Musikalität gelobt. Im Jahre 2013 gewann sie den ersten Preis beim 14. Internationalen Klavierwettbewerb der Chopin-Gesellschaft Hannover und hat damit das Anrecht erworben, in dieser Saison bei uns auftreten zu dürfen. Ihre rege Konzerttätigkeit führte sie seither rund um den Globus nach Peking, Shanghai, Shijiazhuang, Südkorea, USA, Großbritannien und Deutschland.