7 | Paul Hindemith: Musik und Briefe

Studierende der HMTMH, Prof. Markus Becker - Orangerie in Herrenhausen

Vom musikalischen Handwerk – der Komponist Paul Hindemith in Wort und Ton

Die Musik des 20. Jahrhundert sprengt traditionelle Regeln und erschließt sich daher nicht unbedingt beim ersten Hören. Zu vielfältig sind die neuen Strömungen der Avantgarde, zu schrill die Dissonanzen, ungewohnt die Abkehr vom Dur/Moll-System und fremd ist dem nach Harmonie strebenden Menschen etwa die Zwölftonmusik der Wiener atonalen Schule. Texte von und über Komponisten sind daher geeignet, die Musik verständlicher zu machen.

„Musik und Text“ lautet der Titel einer Konzertreihe, die die Chopin-Gesellschaft Hannover turnusmäßig veranstaltet. In Kooperation mit ihrem langjährigen Förderer, der KPMG, fand in der Orangerie Herrenhausen ein abwechslungsreicher Abend statt, der dem 1895 geborenen Komponisten Paul Hindemith gewidmet war. Zur Einführung sprach der ehemalige Direktor des Hindemith-Instituts Frankfurt/M, Prof. Dr. Giselher Schubert, über das Leben des Universalmusikers Hindemith, der als Bratschist, Dirigent, Komponist und Musiktheoretiker ein bedeutender Vertreter der Musik des 20. Jahrhunderts war. Hindemiths Bekenntnis zum handwerklichen Schaffen eines Tonschöpfers steht im Kontrast zum gängigen Künstlerbild, in dem der Komponist durch Inspiration geleitet wird. Zwei Werke des Meisters konnte das zahlreich erschienene Publikum bestaunen, die Sonate für Violine und Klavier Op. 11 aus dem Jahr 1919 mit Airi Suzuki, Violine und Masahiro Masumi, Klavier sowie die Sonate für Trompete und Klavier von 1939 mit Pedro Freire, Trompete und ebenfalls mit Masumi als Klavierbegleiter. Die jungen Musiker hatten sich sehr gut vorbereitet und spielten makellos, technisch brillant, sehr dynamisch und in ausgewogenen Tempi. Besonders der letzte Satz der Trompetensonate, in dem der Cantus firmus des Chorals „Alle Menschen müssen sterben“ anklingt, kam sehr ergreifend zum Ausdruck. 
Auch Mozart und Haydn standen auf dem Programm. Mit Mozarts sogenanntem Kegelstatt-Trio, in der ungewöhnlichen Besetzung für Klarinette, Viola und Klavier, konnten Eszter Hoffmann, Klarinette, Thear Eid, Viola und Evgeniya Kleyn, Klavier puren Musikgenuss vermitteln. In diesem frischen und heiteren Werk kommt Mozarts Vorliebe für die Klarinette zur Geltung. Es ist technisch nicht übermäßig schwierig, jedoch musikalisch höchst anspruchsvoll. Die drei Musiker gestalteten die wunderschönen Themen des dreisätzigen Werkes sehr akzentuiert und genossen sichtlich und hörbar die perlenden Dreiklangfiguren, Tonleiterfolgen und Modulationen. Ein fein abgestimmtes Musizieren wurde auch in Haydns Divertimento für drei Violoncelli präsentiert. Die Cellisten Tim Posner, Aleksey Shadrin und Fedor Grigoriev intonierten ausgewogen und klangvoll dieses noch ganz im sogenannten galanten Stil komponierte Werk.

Einen musikalischen Höhepunkt bescherte zweifellos das „Duo MinneKlang“ mit dem Song „Goin‘ Home“ von Dvorák/Fisher. Die hervorragende Sopranistin Sophia Körber und ihr exzellenter Begleiter, der Gitarrist Kihang Lee, gestalteten dieses zarte und innige Abschiedslied sehr intim, gefühlvoll und mit fast greifbarer Spannung. Die Melancholie des bekannten Largo aus der 9. Symphonie von Antonin Dvoràk wird in dieser Transkription sehr ausgereizt, fast schon überzeichnet. Den fabelhaften Künstlern gelang aber die Gratwanderung zwischen kunstvoller Gestaltung und Übertreibung. Ein Duo der Spitzenklasse!
Zwischen den Musikbeiträgen rezitierte der Schauspielstudent Roman Mucha Briefe von Paul Hindemith aus den Jahren 1937 bis 1939, die einen Einblick in das Leben des in die USA Emigrierten geben. Die Ankunft in New York, der Probenalltag mit Kollegen, Pannen wegen eines nicht vorhandenen Klaviers bei Konzertauftritten und das ganz alltägliche Leben eines großen Musikers werden hier beschrieben, selbst der feine Humor, für den Hindemith bekannt war, ist immer wieder erkennbar.

Der Schlussapplaus brachte noch einmal alle Mitwirkenden auf das Podium. Ein Abend mit vielen Informationen und musikalischen Eindrücken!

Okka Mallek
Hannover, 22.10.2016

Hindemith: Musik und Briefe 

In diesem Sonderkonzert beschäftigen wir uns mit Leben und Werk des Komponisten Paul Hindemith. Die zumeist mit Witz und Humor gespickten Briefe an seine Ehefrau oder seinen Verleger werfen ein Licht auf den Menschen hinter dem Komponisten. Wir danken dem Hindemith Institut Frankfurt für die freundliche Unterstüzung bei der Auswahl der Briefe und Prof. Markus Becker für die Auswahl der Musikstücke und der Künstler. 

Paul Hindemith (1895-1963)

Der in Hanau geborene Komponist der Moderne (Neue Musik) schockierte in seiner frühen Schaffensperiode das klassische Konzertpublikum mit provozierend neuartigen Klängen, was ihm den Ruf eines „Bürgerschrecks“ einbrachte. 

Während der Zeit des Nationalsozialismus kam es zu einem Aufführungsverbot seiner Werke, auf das er schließlich mit Emigration reagierte, zunächst in die Schweiz, dann in die USA. Unterdessen entwickelte sich seine Kompositionsweise hin zu einem neoklassizistisch geprägten Stil, der sich auf neue Weise mit klassischen Formen wie Sinfonie, Sonate und Fuge auseinandersetzte. Dabei distanzierte er sich vom romantischen Künstlerbild des durch Inspiration beflügelten Genies und sah den Komponisten und Musiker mehr als Handwerker.

Kein anderer Komponist des 20. Jahrhunderts kann ein solch umfangreiches wie vielschichtiges Werk vorweisen, in dem alle gebräuchlichen Gattungen berücksichtigt sind. Die Opern Cardillac und Mathis der Maler gelten als Standardwerke der Operngeschichte, das Sonatenwerk gehört unverzichtbar zum Repertoire eines jeden Instrumentalisten.

Programm

Paul HindemithSonate für Violine und Klavier Op. 11 Nr. 1 Es-Dur
Antonin Dvorák„Going Home“ (2. Satz der Symfonie Aus der neuen Welt).  Gesang mit Gitarrenbegleitung
Joseph HaydnDivertimento Transkription für 3 Celli
W. A. MozartTrio Es-Dur (Kegelstatt)
Paul HindemithSonate für Trompete und Klavier (1939)
Text: Eine Auswahl von Hindemiths Briefen