Varvara Nepomnyashchaya, Klavier - Hannover Rück SE.
Varvara – die Magie des Klavierklanges
Wenn ein angekündigter Klavierabend wegen Erkrankung des Pianisten nicht stattfinden kann, ist der Veranstalter gefordert, Ersatz zu finden. Der Präsidentin der Chopin-Gesellschaft Hannover ist es gelungen, für ein geplantes Konzert mit Adam Laloum die großartige Pianistin Varvara Nepomnyashchaya quasi „aus dem Hut“ zu zaubern. So kamen zahlreiche Liebhaber feinster Klaviermusik in den Genuss, diese außergewöhnliche Künstlerin, sie war bereits mehrmals bei der Chopin-Gesellschaft zu Gast, zu erleben.
Was die 1983 in Moskau geborene Musikerin auszeichnet, ist ein besonderer, geradezu magischer Klavierklang. Als Meisterin der feinen Zwischentöne formt sie einzelne Töne zu einem Musikgebäude und entlockt dem Instrument mit raffinierter Technik die zauberhaftesten Klänge. Die Ausbildung an der berühmten Moskauer Gnessin-Spezialschule für Musik und am Tschaikowsky-Konservatorium, sowie Feinschliff bei namhaften Meistern, ihr Talent und ihre authentische Persönlichkeit machen einen Klavierabend mit Varvara so besonders.
Etwa 120 Sonaten für Tasteninstrumente hat der spanische Komponist Antonio Soler geschrieben. Der große Einfallsreichtum dieser oft einsätzigen Werke, in denen mit Verzierungen nicht gespart wurde, sind virtuos angelegt und klaviertechnisch höchst anspruchsvoll. Varvara wählte vier dieser ausnahmslos schönen Sonaten, setzte aber nicht auf vordergründige Virtuosität, sondern ließ mit feinstem Pianissimoklang und Präzision aufhorchen. Trillerkaskaden, Läufe, Sprünge und eine extrem ausgereizte Dynamik wurden mit körperlichem Einsatz, frappierender Fingerfertigkeit und musikalischem Geschmack stilsicher gestaltet.
Mozart ist meistens eine heikle Angelegenheit. Verschiedene Lesarten führen zu unterschiedlichen Interpretationen. Das Allegro molto des ersten Satzes der Sonate c-Moll KV 457 ist in der Erstausgabe lediglich mit Allegro überschrieben. Varvara entschied sich für ein zügiges Tempo dieses Satzes und für einen gestrafften, schnörkellosen und puren Mozartstil. Eine gute Entscheidung und ein schöner Kontrast zum gesanglichen Adagio des Mittelsatzes. Varvara Nepomnyashchaya gewann 2012 den Mozartpreis und den ersten Preis des Zürcher Gèza-Anda-Wettbewerbs. Ihr Mozartspiel ist so klar und kompromisslos, dass diese Auszeichnung unbedingt nachvollziehbar ist.
Eine Gemäldeausstellung hörend zu erkunden ist eine wunderbare Erfahrung, wenn es sich um die „Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorksky handelt. Zehn Bilder im Gedenken seines verstorbenen Freundes, des Malers und Architekten Victor Hartmann, setzte Mussorksky in Töne um. Jedes einzelne Bild ein Tongemälde mit ganz eigenem Charakter. Varvara führte mit Vitalität und dennoch großer Ruhe durch die Ausstellung, nahm sich Zeit zum hörenden Betrachten. Sie ließ die unausgeschlüpften Küken Ballett tanzen, den Gnom sein zynisches Unwesen treiben, die Hexe Baba-Jaga durch die russische Nacht reiten und im großen Finale das Heldentor von Kiew bombastisch erstrahlen.
Eine bemerkenswerte Künstlerin, die mit viel Applaus bedacht wurde und sich mit einer Canzone des russischen Komponisten Nikolai Medtner verabschiedete.
Okka Mallek
Hannover, 25.11.2017
Programm
Antonio Soler (1729–1783) | 4 Sonaten |
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W. A. Mozart (1756-1791) | Klaviersonate Nr. 14 c-Moll KV 457 |
Mussorgski (1839-1881) | Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ |
1. Der Gnom 2. Das alte Schloss 3. Die Tuilerien (Spielende Kinder im Streit) 4. Der Ochsenkarren 5. Die Hütte auf Hühnerfüßen (Baba-Jaga) 6. Ballett der unausgeschlüpften Küken 7. Samuel“ Goldenbergund „Schmuyle“ 8. Limoges. Der Marktplatz 9. Die Katakomben (Römische Gruft) 10. Das Heldentor in Kiew |
Die Solistin
Varvara Nepomnyashchaya wurde 1983 in Moskau geboren und zunächst elf Jahre lang an der Gnessin-Spezialschule für Musik bei Lidija Grigorieva ausgebildet, ehe sie die Klavierklasse von Mikhail Voskresensky am Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium absolvierte. 2011 holte sie sich den letzten Schliff bei Evgeni Koroliov an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater, wo sie seit einigen Monaten selbst als Lehrbeauftragte unterrichtet.
Als Preisträgerin ging Varvara seit 2006 aus dem Bach- Wettbewerb in Leipzig, aus dem Nagoya International Music Competition, aus dem Bremer Klavierwettbewerb und der Konkurrenz des Prager Frühlings hervor. Im Juni 2012 gewann sie dann den Ersten Preis und den Mozart-Preis beim renommierten Zürcher Concours Géza Anda; ausserdem erhielt sie für ihre Interpretation von Beethovens Drittem Klavierkonzert, das sie im Zusammenspiel mit dem Tonhalle-Orchester Zürich unter David Zinman deutete, auch den Géza Anda-Publikumspreis. Die Jury, der u.a. Jonathan Nott, Michel Béroff, Markus Hinterhäuser, Oleg Maisenberg, Alexei Volodin und Gérard Wyss angehörten, begründete die Entscheidung folgendermassen: „Die Pianistin ist zweifellos eine Ausnahmeerscheinung durch ihren unbedingten Willen zur Gestaltung und der Erkundung von Grenzen; dafür ist sie bereit, mit ihrer brillanten, wenngleich unkonventionellen pianistischen Technik alles zu wagen. Ihr Rezital mit Werken Chopins, Mozarts und Schumanns steigerte sich zu einem Rausch extremer emotionaler Zustände, der gleichwohl durch eine wache und überlegene musikalische Intelligenz gebändigt schien.“
Varvara konzertierte bereits in mehreren Ländern Europas; nach ihrem Erfolg beim Concours Géza Anda wurde sie– neben zahlreichen Soloauftritten – u.a. für Konzerte mit dem Orchestra della Svizzera Italiana, dem Musikkollegium Winterthur, dem Radio- Sinfonieorchester Stuttgart, dem Georgischen Kammerorchester Ingoldstadt, der Mährischen Philharmonie, dem Jungen Sinfonieorchester Hannover, der Neuen Philharmonie Westfalen und dem Wiener Kammerorchester eingeladen.