Meister der Inszenierung - Ein spektakulärer Klavierabend mit Chi Ho Han bei der Hannover Re
Meister der Inszenierung – Ein spektakulärer Klavierabend mit Chi Ho Han
Mit einem geradezu spektakulären Klavierabend ging das Konzertjahr der Chopin-Gesellschaft Hannover zu Ende. Nach acht Konzerten war es wieder ein erfolgreiches Jahr, wie die Präsidentin, Sookie Schober, in ihrer Begrüßungsrede anmerkte. Der Abend stand unter dem Thema „Liebe und Gift – ein Ballett ohne Tänzer“ und war thematisch minutiös inszeniert. Zwischenapplaus wurde ausdrücklich nicht erwünscht.
Einen Klavierabend überhaupt zu inszenieren, hat gewiss Seltenheitswert. Chi Ho Han, ein hochtalentierter und sehr kreativer Konzertpianist, ließ im ausverkauften Saal der Hannover Rück Versicherung die Puppen tanzen (Petruschka), die liebenden Leiden (Romeo und Julia), Segnungen in der Einsamkeit empfangen (Bénédiction de Dieu dans la Solitude) und Walzerklänge in die Raserei treiben (la Valse). Der thematische Bezug der vorgetragenen Werke war also gegeben und versprach schon beim Blick auf das Programm einen höchst interessanten Abend.
Chi Ho Han hat die Erwartungen an einen besonderen Klavierabend weit übertroffen. Mit fundierter Technik und leidenschaftlichem Ausdruckswillen gestaltete er zu Beginn, sozusagen als Prolog, das motorisch-perkussive Klavierstück Suggestion Diabolique von Prokofjev. Doppelgriffe, Glissandi, endlos scheinende Akkordrepetitionen und spannungsreiche Intervalle (der „teuflische“ Tritonus) geben diesem Werk einen diabolischen Charakter. Chi Ho Han hat alle wesentlichen Elemente der Komposition aufgespürt und dem Publikum nahegebracht. Wie zur Versöhnung erklang anschließend eine zärtlich hingehauchte Gymnopédie von Eric Satie, um danach dem teuflischen Verführer mit dem außergewöhnlich anspruchsvollen Werk Bénédiction de Dieu dans la Solitude von Franz Liszt das religiöse Prinzip gegenüber zu stellen. Diese eindrucksvolle Komposition entstammt dem Klavierzyklus Harmonies poétiques et religieuses und geht auf eine Gedichtsammlung von Alphonse Lamartine zurück. Schwärmerisch und hymnisch ließ der Künstler auch hier die vorwiegend weitgriffigen Akkorde präzise und ausgewogen erklingen. Er bezeugte mit seinem sehr kantablen Spiel ein außergewöhnliches musikalisches Gespür für den Reichtum der Klangfarben und die dynamischen Schattierungen des Werkes.
Wenn existentielle Gefühle der Menschen in Musik verwandelt werden, handelt es sich ja immer um ganz tiefgründige und leidenschaftliche Werke. So auch in Prokofjews Ballettvertonung von Shakespeares Romeo und Julia, in Strawinskys Petruschka, in dem die Puppen des Gauklers auf dem russischen Jahrmarkt auf geheimnisvolle Weise zum Leben erwachen und auch in dem ursprünglich als Ballett geplanten La Valse von Maurice Ravel. Mit den Klavierfassungen dieser groß angelegten Werke konnte Chi Ho Han noch einmal aus dem Vollen schöpfen und mit einer unbändigen Freude an rasanten Glissandi, Sprüngen und aberwitzigen Läufen geradezu wie ein verführerischer Magier auftrumpfen. Das Publikum war hingerissen von so frappierender Fingerfertigkeit, und als der Künstler noch während des furiosen Schlussakkordes kerzengerade vor dem Pianoforte stand, brach frenetischer Jubel aus. Nun könnte man an eine große Show denken, doch ein ausgemachter Könner darf sich viel erlauben. Chi Ho Han ist ein glaubwürdiger, ernsthafter und erfolgreicher junger Pianist, wie seine zahlreichen Wettbewerbspreise und bedeutenden Konzertauftritte belegen.
Der verdiente Applaus brachte zwei Zugaben hervor. Mendelssohns Hochzeitsmarsch aus dem Sommernachtstraum in der Transkription von Franz Liszt und zum Abschluss noch, ganz zart und träumerisch, das Nocturne Des Dur von Frédéric Chopin.
Ein großartiger Abend, der Vorfreude auf ein sicher wieder spannendes Konzertjahr 2023 aufkommen ließ.
Okka Mallek
Hannover, 26.11.2022
Der Künstler
Chi Ho Han
Der in Deutschland lebende koreanische Konzertpianist Chi-Ho Han beeindruckt als gleichermaßen begeisterter Interpret klassischer und zeitgenössischer Repertoires auf allen Kontinenten und gewann 2014 den Internationalen Musikwettbewerb der ARD (Deutschland) mit dem Publikumspreis und der Besten Performance für Auftragswerke, First Preis beim Seoul International Music Competition (Korea) und Silbermedaille beim Gina Bachauer International Artists Piano Competition (USA). Später als Preisträger des Internationalen Königin-Elisabeth-Wettbewerbs 2016 erhielt seine sensationelle Interpretation des Orchesterauftragswerks „A Butterfly’s Dream“ von Claude Ledoux hohe Anerkennung und wurde für die Wettbewerbsaufnahme ausgewählt.
Han hat in großen europäischen und asiatischen Städten und an großen Veranstaltungsorten gespielt, wie dem Goldenen Saal des Musikvereins in Wien, Forbidden City Concert Hall, Peking, Herkulessaal Prinzregententheater in München, Gewandhaus in Leipzig und Tonhalle Zürich. Zu den Höhepunkten der Saison 2019 zählen Tschaikowskys Erstes Konzert mit dem renommierten Dirigenten Myung-Whun Chung auf Tournee in Korea.
Programm
Liebe und Gift – ein Ballett ohne Tänzer
Prolog | |
Sergei S. Prokofjew | Suggestion Diabolique op. 4/4 |
1. Szene: Liebe | |
Erik Satie | Gymnopédie in D-Dur |
Franz Liszt | "Bénédiction de Dieu dans la solitude" S 173 Nr. 3 |
2. Szene: Erinnerungen | |
Erik Satie | Gymnopédie in a-Moll |
Maurice Ravel | La Valse |
3. Szene: Obsessionen | |
Sergei S. Prokofjew | Romeo und Julia |
Erik Satie | Gymnopédie in C-Dur |
Igor F. Strawinski | Petruschka |