1. Dezember 2014 – HAZ

Wie von selbst

Das Beste hob sich David Theodor Schmidt bis zum Schluss auf: Die fulminante Interpretation von Johann Sebastian Bachs Chaconne d-Moll war das Finale bei seinem Konzert bei der Chopin-Gesellschaft. Die Einnahmen daraus gehen an die HAZ-Weihnachtshilfe.


Hannover. Man mag darüber streiten, wie viel Bach in den Transkriptionen des Deutsch-Italieners noch steckt. Busoni transkribiert ja nicht einfach ein Werk des Thomaskantors so, dass es auf einem modernen Flügel spielbar ist. Er verändert Abschnitte, fügt Stimmen hinzu, ergänzt Vortragsbezeichnungen, kurzum: Er bemüht sich, das Stück emotional nachzuschöpfen und für den Hörer seiner Zeit zu übersetzen. Dabei ist es erstaunlich zu hören, wie unbeschadet Bachs kompositorisches Material all dies zulässt und wie viel es offensichtlich auch einem Musiker an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu sagen hatte. Was Busoni hier macht, ist also eine komponierte Interpretation des originalen Notentextes und zeigt ganz nebenbei dessen großartige Qualität.

Der junge deutsche Pianist David Theodor Schmidt, 2006 Gewinner des Klavierwettbewerbs der Chopin-Gesellschaft, widmete sich dem Werk mit Ernsthaftigkeit und tiefer emotionaler Hingabe. In jedem Ton war zu hören, wie sehr ihm diese Musik am Herzen liegt. Dabei ist Schmidt nicht der Typ Tastenlöwe, der sich die Musik als Folie zur Darstellung seiner Persönlichkeit einverleibt. Er nahm Busonis Bearbeitung mit all ihren akribischen Angaben zu Temporelationen, Dynamik, Ausdruck und Klangfarbe sehr genau und machte damit – fast nebenbei – auch die Ernsthaftigkeit hörbar, mit der Busoni an seine Bearbeitung herangegangen ist.

Schmidt befreit die Chaconne von jeder virtuosen Vordergründigkeit. Wo es musikalisch nötig ist, macht er Einzelstimmen hörbar – sein Spiel ist aber so klar durchstrukturiert, dass die polyphonen Stimmen meist ganz von selbst hervortreten. Sein Faible für Bearbeitungen des Leipziger Meisters bewies Schmidt im gesamten zweiten Teil des Konzerts, in dem auch Bearbeitungen von Wilhelm Kempff und Myra Hess zu hören waren.

Im ersten Konzertteil widmete sich der junge Pianist den frühen Balladen von Johannes Brahms und dem Sonnetto 104 aus dem zweiten Band der „Années de pèlerinage“ von Franz Liszt. Auch hier bewies er sein Gespür für Klangfarben und fein austarierte Tempomodifikationen. In den Brahms-Balladen hätte man sich an wenigen Stellen einen klareren und durchsichtigeren Anschlag gewünscht, um die Struktur der Einzelstimmen noch besser zu verstehen.

Passend zu dem reifen und abgeklärten, aber nie emotionslosen Vortrag rezitierte Schauspielstudent Marcel Zuschlag Gedichte und Balladen rund um das Thema Liebe von Petrarca, Shakespeare und Schiller. Er interpretierte die Gedichte intensiv und bohrend, ließ bei Schiller allerdings auch die Komik nicht zu kurz kommen. Der innere Konflikt stand im Zentrum, wie auch bei der Ballade „Edward“ von Johann Gottfried Herder: Edward hat unter dem Einfluss seiner Mutter den Vater ermordet und verlässt Haus und Güter, um sein Tun zu sühnen. Mit Goethes „Zum Neuen Jahr“ endete das Konzert mit einer nachdenklichen Note.

Das Publikum in den gut gefüllten Räumlichkeiten der Hannover Rück SE entließ den Pianisten nicht ohne Zugabe. Mit der Sarabande aus Bachs Partita I brachte Schmidt ein Original aus Bachs Feder zu Gehör und bewies auch hier seine innere Affinität zu dieser Musik.