25. November 2019 — HAZ

Maria Häring lässt den Flügel singen

Bei der Chopin-Gesellschaft unternimmt der Pianist eine Expedition ins Innenleben der Klänge

Von Stefan Arndt


Was machen eigentlich die Töne in einem Flügel, die gerade nicht erklingen? Warten sie (auf)gespannt auf ihren Saiten still und stumm darauf, dass sie selbst an der Reihe sind? Oder singen sie, wenn ein Nachbar angeschlagen wird, nicht vielleicht schon heimlich mit? Mit seinem ungewöhnlichen Spiel kann der Pianist Mario Häring solche ungewöhnlichen Fragen auslösen: Sein Auftritt bei der Chopin-Gesellschaft im Saal von Hannover Rück war auch eine Expedition ins Innenleben der Klänge. 

Häring wurde 1989 in Hannover geboren, ist in Berlin aufgewachsen und war vor drei Jahren an der Mu­sikhochschule seiner Geburtsstadt einer der ersten Absolventen der Klavierklasse von Lars Vogt. Längst hat er eine eigene Stimme gefunden: Bei ihm ist etwa zu spüren, dass zwischen zwei Tönen nicht einfach nichts ist. Spielt er sie gleichzeitig, ergibt das nicht nur ein Intervall – der Pianist spannt vielmehr einen Klangraum auf, über dem die Obertöne leuchten wie Sterne in klarer Nacht. 

Ein reicher Klang 

Obertöne sind die einzelnen Komponenten, die den spezifischen Klang eines Tones färben. Von Instrument zu Instrument ist ihre Zusammensetzung unterschiedlich, aber auch von Spieler zu Spieler. Bei Häring ist der Klavierklang besonders reich an diesen Komponenten: Wenn er einen Ton anschlägt, beginnt der ganze Flügel zu singen.

Das passt ideal zur schwebend­farbigen Musik von Claude Debussy. Bei der Chopin-Gesellschaft spielt Häring den ersten Band von dessen „Préludes“: poetische Miniaturen, die „Schritte im Schnee“ beschreiben oder die duftige Schönheit des „Mädchens mit den Flachshaaren“. Die „Versunkenen Kathedralen“ könnten dabei auch ein Bild für das Spiel des Pianisten sein, der unter der glatten Oberfläche des Klanges ein reiches Innenleben auffächert. 

Schuberts a-Moll-Sonate (D 784) erweist sich mit ihren zarten Gesängen ebenfalls als Paradestück für Häring. Beethovens „Appassionata“ -Sonate, die eher nach geballter Faust verlangt als nach sensibler Klangauslotung, scheint dem Pianisten nicht ganz so ideal zu liegen, löst aber auch große Begeisterung im gut gefüllten Saal aus.