29. Januar 2018 – HAZ

Träumerische Entrücktheit

Sonatenabend mit Violine und Klavier zum Jahresauftakt der Chopin-Gesellschaft
von Michael Meyer-Frerichs


Schon zum elften Mal war die Chopin-Gesellschaft Hannover mit ihrem ersten Konzert des Jahres in den Räumen der Solvay GmbH an der Freundallee zu Gast Einen Sonatenabend für Violine und Klavier erlebte der Raum aber wohl zum ersten Mal, gehört die Ausrichtung von Kammermusikkonzerten doch nicht zum „Kerngeschäft“ der Chopin-Gesellschaft. Wie gut, dass es auch Ausnahmen von der Regel gibt.

Den Abendbestritten Yeol Eum Son (Klavier) und Clara-Jumi Kang (Violine). Die beiden Anfang dreißigjährigen Musikerinnen gehören in ihrem Heimatland Korea zu den populärsten klassischen Musikern, sind in Deutschland und Europa aber, trotz zahlreicher Preise, noch nicht so bekannt, wie es ihr Können zulassen würde.

Mit Werken von Clara und Robert Schumann, Sergeij Prokofiew und Richard Strauss hatten sie ein vornehmlich romantisches Programm ausgewählt, wobei keines der Stücke besonders häufig im Konzertsaal zu hören ist. Die Drei Romanzen für Violine und Klavier von Clara Schumann sind kurze Charakterstücke, die wohl am ehesten mit Mendelssohns Liedern ohne Worte zu vergleichen sind. Die Fünf Melodien von Prokofiew sind in ihrer Ursprungsfassung tatsächlich Lieder ohne Worte, sie sind nämlich für Singstimme ohne Text und Klavier komponiert. Später hat Prokofiew sie dann sehr kunstvoll für Violine und Klavier bearbeitet. Die erste Violinsonate von Robert Schumann passt sehr gut zu diesen Werken, ist sie doch auch sehr komprimiert und dicht gesetzt. Die Kürze der drei Sätze erinnert eher an eine Sonatine, der satztechnische und emotionale Gehalt hingegen bewegt sich auf höchstem Niveau. Ein wenig aus dem Rahmen fällt die Violinsonate Es-Dur von Richard Strauss, als virtuoser und konzertanter Höhepunkt des Konzerts: eine große Konzertsonate, die durchaus auf Wirkung angelegt ist ohne aber kompositorische Qualität zu vernachlässigen. An einigen Stellen kann man schon die sinfonischen Dichtungen, vor allem Don Juan, vorausahnen.

Yeol Eum Son und Clara-Jumi Kang erwiesen sich an diesem Abend als Meisterinnen der intimen Töne. Sie präsentierten sich als großartige kammermusikalische Einheit, phrasierten und atmeten gemeinsam. Ein perfekteres Zusammenspiel ist wohl nur schwer zu erreichen. Besonders Clara-Jumi Kang verstand es immer wieder mit wunderbaren Flautando-Klängen das Publikum in eine träumerisch entrückte Stimmung zu versetzen. In Robert Schumanns Gedankenwelt würde man wohl sagen, dass den Musikerinnen Eusebius (der Milde) sehr viel näher ist als Florestan (der Wilde). Dieser Interpretationsansatz kam den Werken von Clara Schumann und Prokofiew sehr entgegen und war auch für Robert Schumanns Sonate in weiten Bereichen stimmig. Hinreißend gelang auf diese Art und Weise die Zugabe, Kreislers Liebesleid, das man wohl nur selten so intim melancholisch zu hören bekommt. Die Strauss-Sonate hätte aber ein wenig mehr Mut zum Risiko vertragen können, und etwas weniger Kontrolle hätte ihr noch mehr Kraft und Überzeugungskraft verliehen.

Hauptproblem des Abends war aber die sehr trockene und gedämpfte Akkustik des Saals. Selbst wenn die Instrumentalistinnen sichtbar mit voller Kraft und körperlichem Einsatz musizierten blieb das Klangvolumen weit entfernt von dem, was man in einem kleineren Saal erwarten darf. Schade, denn vielleicht hätte gerade die Sonate von Strauss in einer anderen Akkustik eine ganz andere Wirkung erzielt.