Zukunftsmusik
Wie ein kleiner Verein große Konzerte veranstaltet: Charles Richard-Hamelin bei der Chopin-Gesellschaft Hannover
VON STEFAN ARNDT
Diese Musik klingt wie gemalt. Zum stolzen Rhythmus des Themas von Chopins „Introduktion und Rondo“ in Es-Dur etwa könnte man sich einen Offizier des 19. Jahrhunderts vorstellen, der in blitzender Uniform aufrecht auf dem Pferd sitzt. Ein prachtvolles, farbintensives Historiengemälde.
Der junge kanadische Pianist Charles Richard-Hamelin allerdings, der das Stück jetzt beim Konzert der Chopin-Gesellschaft in der bis auf den letzten Platz gefüllten Christuskirche spielte, gibt sich mit einem einfachen Bild nicht zufrieden. Bei ihm hört man eine ganze Romanszene: den Liebeskummer, der den tapferen Blick des Soldaten umflort, und den Lärm der Schlacht, in die er gleich ziehen muss.
Richard-Hamelin ist ein Meister darin, unter der eleganten Oberfläche von Chopins Musik tiefenscharfe Panoramen zu entfalten. Selbst in Miniaturen wie den „Drei Marzurken“ op. 59 entdeckt er viel mehr als nur einen einzigen Ausdruck. Auf kleinstem Raum überlagern sich bei ihm verschiedene Stimmungen, bis auch das kürzeste Stück zum faszinierenden Psychogramm wird.
Debüt in Hannover
Mit seinem Spiel hat der 1989 geborene Pianist bereits einige Anerkennung auf internationalem Parkett gewonnen: Er war Preisträger bei Wettbewerben an seinem Studienort Montreal und in Seoul, beim renommierten Chopin-Wettbewerb von Warschau landete er im vergangenen Jahr sogar auf dem zweiten Platz. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass dem vielversprechenden Künstler auch die Konzertsäle der Welt offenstünden. Zwar knüpfen sich an Wettbewerbserfolge oft erste Kontakte – aber es dauert, bis sich die tatsächliche Qualität bei den Konzertveranstaltern und -agenten herumspricht.
Umso erstaunlicher ist es, wie reaktionsschnell und treffsicher die Programmplaner der Chopin-Gesellschaft Hannover sind. Noch bevor sich für die Künstler das Auftrittskarussell richtig zu drehen beginnt, sind sie oft schon in Hannover zu hören. Richard-Hamelin, der beim Gastspiel in der für Klavierabende akustisch bestens geeigneten Christuskirche erstmals in Deutschland zu hören war, ist da kein Einzelfall. Sophie Pacini, Andrew Tyson und viele andere waren nach ihrem Auftritt bei dem kleinen Konzertverein bald bei größeren Veranstaltern zu erleben – in Hannover beispielsweise in den Pro-Musica-Reihen.
Richard-Hamelins Auftritt verspricht jedenfalls mehr, als sich an den Wettbewerbserfolgen seiner Biografie ablesen lässt. Er hat schon jetzt neben erheblichen technischen Möglichkeiten, einem großen Ausdrucksvermögen und viel Klangfantasie jenen eigenen Tonfall, der ihn aus der Masse der viel-versprechenden Nachwuchspianisten heraushebt.
Bei der Chopin-Gesellschaft hat man für solche Feinheiten offensichtlich besonders feine Ohren. Richard-Hamelin, so war am Rande des Konzertes zu erfahren, wurde gerade von einer deutschen Konzertagentur unter Vertrag genommen. Man wird also auch ihn wiederhören. Und kann sich schon darauf freuen.