6 | 27. Open-Air Konzert


Junges Sinfonie Orchester Hannover, Tobias Rokahr; Claire Huangci, Klavier; Koryun Asatryan, Saxophon | Georgengarten in Herrenhausen

Open-Air Konzert im Georgengarten 

Das 27. Open-Air Konzert der Chopin-Gesellschaft Hannover war, trotz unbeständigen Wetters, auch in diesem Jahr ein erfolgreiches Ereignis.

Meteorologisch war es bereits Herbst, die Wetterprognosen standen eher ungünstig und eigentlich wäre man ganz gern zu Hause geblieben. Dennoch trotzten ca. 3000 Liebhaber klassischer Musik mutig dem Wind und gelegentlichem leichten Regenschauer, um in den Genuss eines musikalischen Konzertnachmittags zu kommen. Der Mut hatte sich gelohnt. 

Mit einem publikumswirksamen Programm und hervorragenden Solisten gerieten Wind und Wetter schnell in Vergessenheit. Das Junge Sinfonieorchester Hannover mit Tobias Rokahr am Dirigentenpult intonierte als Auftakt schwungvoll die beliebte Carmen-Ouvertüre von Bizet. Mit spürbarer Spiellaune gelang den Musikern dieses temperamentvolle Konzertstück und weckte Freude und Aufmerksamkeit bei den Zuhörern. 

Zu einem der bekanntesten Werke von Darius Milhaud gehört Scaramouche. Dieses vor Vitalität sprühende Werk hat Milhaud weltweite Popularität eingebracht und ist in seiner ursprünglichen Fassung für zwei Klaviere sowie in unterschiedlichen Bearbeitungen gleichermaßen beliebt. Die bizarre, schrille Einleitung des ersten Satzes, das melancholisch fließende Thema des zweiten und der feurige brasilianische Rhythmus des dritten Satzes wurden hier in der Fassung für Saxophon und Orchester musikalisch in Szene gesetzt. Der armenische Saxophonist Koryun Asatryan überzeugte mit einfühlsamer Gestaltung und sauberer Intonation. Orchester und Solist waren harmonisch in Tempo und Dynamik aufeinander abgestimmt und die stilistischen Elemente wie Jazz, Ragtime und südamerikanische Folklore wurden sehr eindrucksvoll herauskristallisiert. Viel Applaus für den Solisten, der neben seiner Konzerttätigkeit an der Münchener Musikhochschule lehrt.

Maurice Ravel hat viele seiner Klavierwerke meisterhaft orchestriert, so auch sein fünfteiliges Klavierstück Mirois, also Spiegelbilder. Das Junge Sinfonieorchester spielte den 4. Satz, Alborada del gracioso, das Morgenlied eines Narren. Von gelegentlichen Intonationsschwächen, besonders der Bläser, abgesehen, war dieses rhythmisch prägnante Werk gut ausgewogen. Tobias Rokahr gelingt es immer wieder, den Klangkörper, der aus Schülern, Studenten verschiedener Fachrichtungen und Berufstätigen besteht, zu einer Einheit zusammen zu fügen, was unter den gegebenen Bedingungen sicher keine leichte Aufgabe ist. Spielfreude und Engagement gleichen hier aber kleine Ungenauigkeiten aus.

Der Höhepunkt des Konzertprogramms sollte nach der Pause mit dem 5. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven zur Sternstunde des Nachmittags werden. Claire Huangci, amerikanische Pianistin mit chinesischen Wurzeln, trat in der Chopin-Gesellschaft Hannover schon mehrfach erfolgreich auf, ist Preisträgerin renommierter Wettbewerbe und hat sich als Solistin etabliert. Mit brillantem Ton, präziser Technik und überzeugender Interpretation spielte sie Beethovens Es-Dur Klavierkonzert. Es geriet zweifellos zu einem atemberaubenden musikalischen Höhepunkt. Selbst Sturmböen, die sich über die Lautsprecher wie ein Donnern verbreiteten, sowie wehende Haare und flatternde Plakate konnten die Spannung nicht wesentlich beeinträchtigen.

Tosender Beifall und zwei Zugaben: Mozarts Rondo alla Turca in der grandiosen Fassung von Fazil Say gelang dieser unglaublichen Künstlerin mit Bravour. Say, selbst ein Klaviervirtuose, hat in dieser Transkription quasi eine Zeitreise von der Klassik über die Romantik bis zum Jazz und Swing unternommen. Claire Huangci verstand es, diese Komplexität stilvoll zu vereinen. Zum Abschluss kam der Namenspatron der Veranstaltungsgesellschaft zu ehren. Chopins Revolutionsetüde in atemberaubendem Tempo, mit perlenden Läufen und kraftvollen Akkorden.

Später öffneten sich doch noch die Himmelsschleusen, aber da waren die Instrumente wohl schon verpackt und die Konzertbesucher zu Hause, um das Gehörte nachklingen zu lassen.

Okka Mallek
Hannover, 07.09.2015 

Das Junge Sinfonieorchester Hannover

gilt seit seiner Gründung 1961 durch Prof. Barbara Koerppen und Prof. Heinz Hennig als fester Bestandteil des Hannoverschen Kulturlebens. Es hat über 80 Mitglieder im Alter zwischen 14 und 40 Jahren und besteht aus Schülern, aus Studenten aller Fachrichtungen, sowie aus jungen Berufstätigen. Durch das Zusammenspiel der erfahrenen älteren Mitglieder mit instrumental bereits gut ausgebildeten, aber im Orchesterspiel noch ungeübten jüngeren Mitgliedern hat sich ein Klangkörper entwickelt, dessen Niveau inzwischen weit über Hannovers Stadtgrenzen hinaus bekannt ist.

Der große Wert des Orchesters liegt in der Gelegenheit, möglichst viele junge Instrumentalisten die Orchestergemeinschaft bei Reisen, Konzerten und Probenfreizeiten erleben lassen zu können. In gemeinsamen Konzerten und bei freundschaftlichen Begegnungen knüpfte das JSO bei Konzertreisen Kontakte zu jugendlichen Musikgruppen in England und Frankreich, später auch in Amerika, Schweden, Italien, Kenia, der Türkei und Spanien und pflegte auch die Verbindungen zu Hannovers Partnerstädten. Die Finanzierung des Orchesters erfolgt im Wesentlichen aus Konzerteinnahmen, aus Beihilfen der Landeshauptstadt Hannover und aus den Spenden begeisterter Förderer an den Trägerverein „Freundeskreis des JSO“

Seit 1989 gibt das JSO jährlich im Spätsommer im Georgengarten Hannover ein Open-Air-Konzert, das jedes Mal ca. 5000 Zuhörer anlockt. Bei den von der Chopin-Gesellschaft organisierten Konzerten wird vor allem jungen, hochbegabten Solisten eine Auftrittsmöglichkeit mit Orchester gegeben.

Tobias Rokahr

geboren 1972, studierte an der Hochschule für Musik und Theater Hannover Schulmusik, Germanistik, Musiktheorie und Gehörbildung sowie an der Hochschule für Musik Detmold Dirigieren bei Prof. K.-H. Bloemeke. Er war Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes und besuchte Meisterkurse für Dirigenten, u.a. bei Sir Colin Davis. Im Jahr 1997 übernahm er die Leitung des Jungen Sinfonieorchesters Hannover.

Von 2003 bis 2009 war Tobias Rokahr Juniorprofessor für Musiktheorie und Gehörbildung an der Hochschule für Musik Mainz. 2004 verlieh ihm die Johannes Gutenberg-Universität Mainz den „Preis für exzellente Lehre“. Vom Sommersemester 2009 bis Sommersemester 2013 lehrt Rokahr als Professor für Gehörbildung und Tonsatz an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig. Zum 1. Oktober 2013 hat Tobias Rokahr den Ruf auf die Professur für Musiktheorie an der HMTMH angenommen.

Im Jahr 1997 übernahm er die Leitung des Jungen Sinfonieorchesters Hannover. Im alljährlichen großen Open Air Konzert der Chopin Gesellschaft Hannover konzertiert er mit Preisträgern der großen internationalen Wettbewerbe, so z. B. Frank Braley, Eugene Mursky oder Gwyneth Chen. 

Neben seiner Unterrichts- und Dirigententätigkeit arbeitet Tobias Rokahr als Komponist; 1996 gewann er den 1. Preis beim Kompositionswettbewerb des Landesmusikrates in Zusammenarbeit mit dem Göttinger Symphonie Orchester. Daneben stehen Bühnenmusiken (FU Berlin), Liedkompositionen und diverse Aufführungen von Orchesterwerken, u.a. noch zu Schulzeiten beim Internationalen Braunschweig Classix Festival.

Koryun Asatryan

1985 in Jerewan/Armenien geboren, begann 1993 seine Ausbildung als Saxophonist an der Musikschule in Jerewan bei Prof. Alexander Manukyan. Ab 2000 studierte er in Dortmund bei Prof. Daniel Gauthier, bei dem er seit Oktober 2003 sein Studium an der Hochschule für Musik in Köln fortsetzte. Hier schloss er sein Studium April 2009 mit Konzertexamen ab. 

Seit 1999 gewann Koryun Asatryan diverse Wettbewerbe in Moskau, Jerewan, Kiew, Hamburg, Oldenburg, Berlin. Ebenfalls erfolgreich war er mit Tourneen durch die USA, Südamerika, Europa und dem Nahen und Fernen Osten. Seine erfolgreiche Laufbahn bestätigt sich auch mit seinen Auftritten bei den Festivals, wie Schleswig-Holstein Musikfestival, Festspiele Mecklenburg Vorpommern, Musical Olympus“ (St. Petersburg), Colmar-Musikfestival (Frankreich), Rheingau Musik Festival, Lucerne Festival, Musikfest Bremen u.a. 

Wegen seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten erhielt er einen Sonderpreis von der „Deutschen Stiftung Musikleben“, Stipendien der „Konrad-Adenauer-Stiftung“, „Vladimir Spivakov Stiftung“, „Werner Richard – Dr. Carl Dörken Stiftung“ und den Musikpreis 2008 des Verbands der deutschen Konzertdirektionen. 

Koryun Asatryan unterrichtet an der Hochschule für Musik und Theater München.

Claire Huangci

wurde vor 24 Jahren in Rochester, New York geboren und erhielt dort mit sieben Jahren den ersten Klavierunterricht. Schon wenige Monate später wurde sie in den amerikanischen Medien als ein Wunderkind mit den „Fähigkeiten eines professionellen Pianisten“ gefeiert. 

Während ihrer Zeit als Schülerin an der Settlement Music School (1997 bis 1999) wurde Claire mit einer Reihe von Stipendien ausgezeichnet und gewann zahlreiche Wettbewerbe. Als Gewinnerin der World Piano Competition wurde sie 1999 eingeladen, bei einem Preisträgerkonzert in der Carnegie Hall aufzutreten.

2003 erhielt sie ein Vollstipendium für das Curtis Institute of Music und studierte bei Gary Graffman und Eleanor Sokoloff. In dieser Zeit begann sie, Konzerte mit zahlreichen amerikanischen Orchestern zu geben, darunter das Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch.

Nach Abschluss ihres Studiums am Curtis Institute of Music setzte Claire Huangci ihre musikalische Ausbildung bei Arie Vardi und Karl-Heinz Kämmerling an der Hochschule für Musik und Theater Hannover fort. 

Programm

Georges Bizet Carmen-Ouvertüre
Darius Milhaud Scaramouche für Saxophon und Orchester
Maurice Ravel Alborada del gracioso
L. v. BeethovenKlavierkonzert Es-Dur Nr. 5