6 | 29. Open-Air Konzert

29. Open-Air Konzert - Georgengarten in Herrenhausen.

Ein Spätsommertag – mit prachtvollen Klängen unter freiem Himmel

Manche Konzertreihen entwickeln sich zu wahren Publikumsmagneten. So auch das jährlich stattfindende Open Air Konzert der Chopin-Gesellschaft Hannover. Es gehört schon lange zu den gut besuchten Klassikveranstaltungen der Stadt. In diesem Sommer, am letzten Augustsonntag, strömten wieder mehr als 7.000 Musikbegeisterte auf die Wiese vor dem Wilhelm Busch Museum, um den Klängen des Jungen Sinfonieorchesters und hervorragender Solisten zu lauschen. 

Es gibt gewiss viele Gründe für die Beliebtheit der Konzerte unter freiem Himmel. Im Zentrum steht zweifellos das musikalische Geschehen, doch ist es für viele Besucher wohl auch ein angenehmer Nebeneffekt, beim kollektiven Picknick und in ungezwungener Lässigkeit die Zeit zu genießen. Man kann ein wenig flanieren, etwas mit dem Decken- oder Klappstuhlnachbarn plaudern oder auch mal am Glas nippen. Sommerliche Temperaturen und Sonnenschein erhöhten den Wohlfühleffekt an diesem Sonntagnachmittag ebenfalls ganz erheblich.

Unter der Konzertmuschel wurde derweil hart gearbeitet. Das Junge Sinfonieorchester Hannover war in diesem Jahr mit kräftig aufspielenden Musikern stark besetzt. Tobias Rokahr, seit 1997 Dirigent des Orchesters, ist ein überzeugender Impulsgeber, der diesen  Klangkörper auf ein beachtliches Niveau katapultiert hat. Seine Angaben sind immer deutlich und präzise, und sein unübersehbares Temperament überträgt sich spontan auf das Orchester. 

Das Programm war wirkungsvoll und sehr gut überlegt. Mit Ballettmusik von Tschaikowsky gab es viel Märchenhaftes und einen zauberhaften Reiz. Der „Walzer“ aus „Schwanensee“ und der „Tanz der Rohrflöten“ aus dem „Nussknacker“ hätten aber bei manchen Passagen weniger fortissimo vertragen. Die akustischen Bedingungen eines Freiluftkonzertes sind eben doch nicht ohne Tücken.

Hervorragende junge Gesangsolisten ließen mit Glanzstücken der Opernliteratur aufhorchen. Die Mezzosopranistin Carmen Artaza und der Bariton Denis Milo, beide haben bei namhaften Lehrern ihre Ausbildung erhalten und sind Stipendiaten der Walter und Charlotte Hamel Stiftung, glänzten mit Ausdruckskraft und Bühnenpräsenz. 

Arien von Gioachino Rossini, des wohl berühmtesten Opernkomponisten des Belcanto, sorgten schon immer für Furore. Die Arie des Figaro aus dem „Barbier von Sevilla“ wurde von Denis Milo stimmlich und szenisch überzeugend dargeboten. Ebenso die fröhlich muntere neapolitanische Tarantella aus „Soirées musicales“, für die schon mal die Ärmel hoch gekrempelt wurden. 

Mozarts letzte Oper „La clemenza di Tito“ berührt mehr durch die emotionale Spannung, die sich zwischen bösartigen Intrigen und großmütiger Vergebung bewegt. Carmen Artaza hat mit klanglichen Finessen diese komplizierte Rolle dargeboten. Das Duett „La ci darem la Mano“ durfte nicht fehlen, wenn schon ein solch beseeltes Gesangsduo auf der Bühne zu hören ist. Sehr berührend und herzerfrischend!

Zum Abschluss konnte die Pianistin Varvara Nepomnyashchaya, sie war bereits 2013 zu Gast in der Chopin Gesellschaft, mit der Paganini-Rhapsodie von Rachmaninoff große Bewunderung hervorrufen. Intensives, kraftvolles und brillantes Spiel zeichnen diese fabelhafte Künstlerin aus. Die teuflische Programmatik, die den 24 anspruchsvollen Variationen zugrunde liegt, kristallisierte sie detailliert heraus. Mit einer Zugabe von Nikolai Medtner, einem seiner „Märchen“, verabschiedete sich die hervorragende Pianistin. 

Im nächsten Jahr wird es ein Jubiläum geben. 30 Jahre Open Air Konzert der Chopin-Gesellschaft Hannover im Georgengarten. Man sieht sich!

Okka Mallek
Hannover, 27.08.2017

Das Junge Sinfonieorchester Hannover

gilt seit seiner Gründung 1961 durch Prof. Barbara Koerppen und Prof. Heinz Hennig als fester Bestandteil des Hannoverschen Kulturlebens. Es hat über 80 Mitglieder im Alter zwischen 14 und 40 Jahren und besteht aus Schülern, aus Studenten aller Fachrichtungen, sowie aus jungen Berufstätigen. Durch das Zusammenspiel der erfahrenen älteren Mitglieder mit instrumental bereits gut ausgebildeten, aber im Orchesterspiel noch ungeübten jüngeren Mitgliedern hat sich ein Klangkörper entwickelt, dessen Niveau inzwischen weit über Hannovers Stadtgrenzen hinaus bekannt ist.

Der große Wert des Orchesters liegt in der Gelegenheit, möglichst viele junge Instrumentalisten die Orchestergemeinschaft bei Reisen, Konzerten und Probenfreizeiten erleben lassen zu können. In gemeinsamen Konzerten und bei freundschaftlichen Begegnungen knüpfte das JSO bei Konzertreisen Kontakte zu jugendlichen Musikgruppen in England und Frankreich, später auch in Amerika, Schweden, Italien, Kenia, der Türkei und Spanien und pflegte auch die Verbindungen zu Hannovers Partnerstädten. Die Finanzierung des Orchesters erfolgt im Wesentlichen aus Konzerteinnahmen, aus Beihilfen der Landeshauptstadt Hannover und aus den Spenden begeisterter Förderer an den Trägerverein „Freundeskreis des JSO“

Seit 1989 gibt das JSO jährlich im Spätsommer im Georgengarten Hannover ein Open-Air-Konzert, das jedes Mal ca. 5000 Zuhörer anlockt. Bei den von der Chopin-Gesellschaft organisierten Konzerten wird vor allem jungen, hochbegabten Solisten eine Auftrittsmöglichkeit mit Orchester gegeben.

Tobias Rokahr

geboren 1972, studierte an der Hochschule für Musik und Theater Hannover Schulmusik, Germanistik, Musiktheorie und Gehörbildung sowie an der Hochschule für Musik Detmold Dirigieren bei Prof. K.-H. Bloemeke. Er war Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes und besuchte Meisterkurse für Dirigenten, u.a. bei Sir Colin Davis. Im Jahr 1997 übernahm er die Leitung des Jungen Sinfonieorchesters Hannover.

Von 2003 bis 2009 war Tobias Rokahr Juniorprofessor für Musiktheorie und Gehörbildung an der Hochschule für Musik Mainz. 2004 verlieh ihm die Johannes Gutenberg-Universität Mainz den „Preis für exzellente Lehre“. Vom Sommersemester 2009 bis Sommersemester 2013 lehrt Rokahr als Professor für Gehörbildung und Tonsatz an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig. Zum 1. Oktober 2013 hat Tobias Rokahr den Ruf auf die Professur für Musiktheorie an der HMTMH angenommen.

Im Jahr 1997 übernahm er die Leitung des Jungen Sinfonieorchesters Hannover. Im alljährlichen großen Open Air Konzert der Chopin Gesellschaft Hannover konzertiert er mit Preisträgern der großen internationalen Wettbewerbe, so z. B. Frank Braley, Eugene Mursky oder Gwyneth Chen. 

Neben seiner Unterrichts- und Dirigententätigkeit arbeitet Tobias Rokahr als Komponist; 1996 gewann er den 1. Preis beim Kompositionswettbewerb des Landesmusikrates in Zusammenarbeit mit dem Göttinger Symphonie Orchester. Daneben stehen Bühnenmusiken (FU Berlin), Liedkompositionen und diverse Aufführungen von Orchesterwerken, u.a. noch zu Schulzeiten beim Internationalen Braunschweig Classix Festival.